Vorwort (oder: Wie alles begann und was dann geschah...)
Es begann alles mit einer verhängnisvollen Entscheidung zwischen zwei gleichwertigen Übeln, damals, man verteilte gelbe Zettel zur Profilierung der Schülerschaft, plumpe Massenabfertigungs-Zusammenstellungen von Fächern, frei von jedweder Individualität, sollte die Fachkombination des Abiturs bestimmen. Ein einzelnes Kreuz aus der naiven Feder meines jungen Ichs sollte über die quälenden Ereignisse jener geschilderten Nachmittage meines Lebens entscheiden...
Die profilbedingten Umstände erzwangen die Wahl zwischen zwei Semstern der herrlichen lateinischen Sprache oder zwei Semestern des atmeberaubenden Physikums. Der geneigte Leser mag der Wortwahl des Autors die schier unendliche Begeisterung für beide Optionen entnehmen, so nahm das Schicksal seinen Lauf und zu Beginn des 12. Schuljahres, frisch und motiviert aus den Sommerferien, schritt man neuen Mutes zur Tat, da waren sie, die letzten Semester vor dem großen Torschluss, was für ein tolles Gefühl. Ich bin da, jetzt geht's los, spucken wir in die Hände, Tschaka, ab geht die Post, Horrido - Pustekuchen. Pustekuchen? Naja nicht ganz, es gibt ein Leben neben der Schule, das sich durchaus günstig entwickelte, die Fächer pendelten ein und nun in der Mitte des zweiten Semesters ein Resúme.
Es läuft alles gut, bis auf (und wär hätte das geahnt!) die hölle auf Erden, die Lateinstunden.
Einst war ich Feuer und Flamme für dieses Fach, glatter Einser-Schüler, ich konnte ganze Vokabelbände auswendig und verschlang die Übersetzungen geradezu, was war geschehen?
Herr Kunibert* war geschehen, nicht nur, dass die mangelhafte Stundenlogistik in Kombination mit Latein den schönen Ausschlaf-Freitag des Autors verbaute, nein das reichte nicht, wird man nun methodisch terrorisiert, diese Kolumne soll ein Versuch sein all die Geschehnisse zu verarbeiten.
Wenn nicht anders genannt stammen alle Berichte aus den Mittwochsstunden (8./9.)
* Name vom Autor geändert
1. Kolumne - Das Fragment Latinum
Wohlan hochgeschätzte Freunde der staubigen Floskeln, ja, ich meine die lingua Latina - Ausgang ältester Philosophie (neben dem Griechischen), Grundlage der römischen Republik und seines Rechtssystems, ganz großes Tennis.
Wer sich also erfreut, belanglose, tausende Jahre alte Steintafeln oder - ein jüngeres Beispiel - Abschriften von längst vergessenen Mönchen (mit lauter Fehlern) zu übersetzen, ist herzlich willkommen!
Nur zuviel versprechen sollte sich der geneigte Interessent der staubigen "Sprache" nicht, wenn er die ersten übersetzten Zeilen liest und sich wundert, dass der römische Alltag mindestens genauso aufregend war wie der eigene, nämlich garnicht.
Denn wer versucht sein eigenes Leben aufzuhellen - sei es aufgrund von Wissensdurst oder wegen erhoffter Chancen auf dem Arbeitsmarkt mit dem Latinum - hat schon verloren, jedenfalls mit Latein.
Die Leiden, die der Körper ertragen muss: Langeweile, psychologischer Terror und das Gefühl der bewussten Zeitverschwendung, werden von seinem feindlichem Konterpart noch verstärkt: dem Lehrkörper.
Wer jemals die Möglichkeit hatte ein Irrenhaus von Innen zu sehen, wünscht sich sehnsüchtig dorthin zurück und selbst die immerwiederkehrneden Proteste betreffend Guantanamo-Bay lassen einen nur hämisch schmunzeln.
Wenn der Lehrkörper es während seiner ermüdend ausschweifenden Vorträge schafft, unter sekündlichem Wechseln der Oktavlage, die Kapillargefäße in meinem Schädel so in Wallung zu bringen, dass nicht an Einschlafen zu denken ist, wenn einen das Gefühl überkommt, als ob das gesamte römische Heer zum Angriff marschiert - im eigenen Kopf.
Genrell ist die Gefühlswelt auf höchst angespanntem Niveau, während solcher Stunden schmerzvoller Berieselung. Von meinem Platz aus, von dem aus ich diese Zeilen verfasst hatte, konnte ich die grünen, sonnenbeschienen Bäume unter dem blauen Maihimmel sehen.
Von schräg rechts drischt der personifizierte Horror, Wahnsinn mit Methode, der verbalisierte Schwachsinn ein und draußen wartet die Freiheit, das Grün, das Blau, die Wärme der Sonne auf dem Gesicht, der Wind im Haar, das rege Treiben eines mittelgroßen Provinzdorfes rauscht im Hintergrund, Vogelgezwitscher, aber nein, die Uhr sagt, dass die Legionen noch ein Weilchen marschieren werden...
(Nächste Woche geht's vielleicht weiter, abwarten!)
Anmerkung:
Rechtschreib- und Gramatikfehler sind gewollt und dienen der Belustigung sowie sprachlicher Herausforderung und Anregung der Kreativität des Lesers.